Interview "Insolvenzanfechtung"
Interview mit Herrn Dr. Klaus Matzen
(Rechtsanwälte M&P Dr. Matzen & Partner mbB)
"Insolvenzanfechtung"
Was macht das Thema Insolvenzanfechtung aus Ihrer Sicht für die Praxis der Unternehmer so relevant?
Das Instrument der Insolvenzanfechtung, insbesondere die Anfechtung wegen vorsätzlicher Gläubigerbenachteiligung gemäß § 133 der Insolvenzordnung (InsO) war vom Gesetzgeber ursprünglich als Ausnahmetatbestand und letztes Mittel für den Insolvenzverwalter gedacht, um zum Wohle aller Gläubiger eines insolventen Unternehmens widerrechtliche Vermögensabflüsse aus dem Unternehmen zurückfordern zu können. Die Rechtsprechung legte diesen Ausnahmetatbestand in den vergangenen Jahren jedoch so weit aus, dass die Risiken auch für Unternehmer, die sich keines unlauteren Verhaltens bewusst sind, kaum noch zu steuern waren.
Es hat sich dabei eine Vielzahl von praktischen Konstellationen ergeben, die problematisch für Unternehmer, aber auch Arbeitnehmer, sein konnten.
Exemplarisch sei hier die besonders praxisrelevante Anfechtung im Zusammenhang mit Ratenzahlungsvereinbarungen genannt:
Der Bundesgerichtshof hatte zwischenzeitlich entschieden, dass jedem Gläubiger, der eine Ratenzahlungsvereinbarung über eine fällige Forderung mit seinem gewerblichen Schuldner abschließt, klar sein müsse, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zumindest drohe. Da gewerbliche Schuldner in der Regel mehr als nur einen Gläubiger hätten, müsse ein Gläubiger, der eine solche Ratenzahlungsvereinbarung abschließt, auch wissen, dass bei vollständiger Erfüllung seiner (Raten-) Forderung andere Gläubiger benachteiligt werden könnten, weil diese ihre Forderungen ggf. nicht vollständig durchsetzen könnten. Auf Basis dieser Rechtsprechung konnte der Insolvenzverwalter bei einer späteren Insolvenz des Schuldners alle Zahlungen, die auf Grund der Ratenzahlungsvereinbarung geleistet wurden, vom Gläubiger zurückfordern. Davon machten die Insolvenzverwalter regen Gebrauch.
Da § 133 InsO ursprünglich als Ausnahmetatbestand geschaffen worden ist, besteht dieses Recht für einen außergewöhnlich lang zurückreichenden Zeitraum, nämlich in Bezug auf alle Rechtshandlungen (i.e. Zahlungen), die der Schuldner in den letzten 10 Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen hat. Mit der Frist von drei Jahren, die der Insolvenzverwalter derzeit hat, um derartige Forderungen geltend zu machen, können z.B. Zahlungen zurückverlangt werden, die ein Gläubiger vor bis zu 13 Jahren erhalten hat.
In der unternehmerischen Praxis kommt es unserer Erfahrung nach regelmäßig vor, dass über Gläubigerforderungen Ratenzahlungsvereinbarungen abgeschlossen werden. In der Regel möchte der Gläubiger seinem Schuldner (Kunden) damit entgegenkommen und niemand denkt daran, dass andere Gläubiger u.U. benachteiligt werden könnten. Die Anfechtung derartiger Zahlungen trifft die meisten Unternehmer daher wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Im schlimmsten Fall konnten derartige Forderungen zur Insolvenz des betroffenen Gläubigers führen. Wer bildet schon Rückstellungen in seinem Unternehmen für die eventuelle Rückforderung von Geldern, die er bereits vor Jahren erhalten hat?
Zwar hat der BGH diese drastische Rechtsprechung später wieder etwas zurückgenommen, indem er entschied, dass sich allein aufgrund des Abschlusses einer Ratenzahlungsvereinbarung noch nicht auf die Kenntnis des Benachteiligungsvorsatzes schließen lässt, sondern weitere Indizien hinzutreten müssen. Dies ist aber ganz häufig der Fall. So reichte es, wenn der Schuldner den Wunsch nach Ratenzahlung mit einem kurzfristigen Liquiditätsproblem begründet.
Die Insolvenzanfechtung in der Form, wie sie bis zum Inkrafttreten der Reform im April 2017 von Insolvenzverwaltern und Rechtsprechung in der Praxis genutzt wurde, war also sehr weitreichend und konnte selbst gesunde Unternehmen, die sich nie eines schuldhaften Verhaltens bewusst waren, in eine Krise stürzen.
Trotz dieser drastischen Folgen der Insolvenzanfechtung ist dieses Thema unserer Erfahrung nach bei den meisten Unternehmern erstaunlicherweise kaum präsent.
Sehen Sie eingehend mit der Verabschiedung der Reform zur Insolvenzanfechtung einen Grund zur Entwarnung für die Unternehmen in Deutschland?
Die Reform des Insolvenzrechts, die im April diesen Jahres in Kraft getreten ist, geht zwar in die richtige Richtung. Der Gesetzgeber hat erkannt, dass insbesondere § 133 InsO alte Fassung (a.F.) in einer Art instrumentalisiert wurde, die für die Unternehmen nicht mehr kalkulierbare Risiken mit sich brachte. Der Gesetzgeber hat wesentliche Kritikpunkte an der alten Regelung aufgegriffen und entsprechend verändert. Eine vollständige Entwarnung kann allerdings nicht gegeben werden. Insbesondere für Unternehmen, die vertiefte Informationen über die finanziellen Verhältnisse ihrer Schuldner haben, wie z.B. Banken, aber auch Steuerberater oder Unternehmensberater, bestehen noch immer erhebliche Risiken.
Können Sie bitte die wichtigsten Änderungen der Reform kurz skizzieren?
Eine zentrale Änderung ist sicherlich die Umkehr der Vermutungswirkung in § 133 Abs. 1 S. 2 InsO. Bislang gab es die gesetzliche Vermutung, dass ein Gläubiger den Benachteiligungsvorsatz des Schuldners kannte (was zur Anfechtbarkeit führte), wenn er wusste, dass die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und dass die angefochtene Handlung des Schuldners (i.e. die Zahlung an den Gläubiger) die anderen Gläubiger benachteiligte.
Zwar bleibt § 133 Abs. 1 InsO unverändert. Jedoch wird ein neuer Absatz 3 mit erheblichen Erleichterungen eingeführt.
Erhält ein Gläubiger hiernach Zahlungen vom Schuldner, die er zu diesem Zeitpunkt auch beanspruchen durfte, so reicht für eine Anfechtung nicht mehr die Kenntnis von der drohenden Zahlungsunfähigkeit, sondern der Gläubiger muss gemäß dem neu eingefügten § 133 Abs. 3 S.1 InsO Kenntnis von der tatsächlich bereits eingetretenen Zahlungsunfähigkeit gehabt haben. Das muss nun der Insolvenzverwalter darlegen. Gemäß dem neuen § 133 Abs. 3 S. 2 InsO wird zudem (widerleglich) vermutet, dass der Gläubiger keine Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit hatte, wenn er mit dem Schuldner eine Ratenzahlungsvereinbarung getroffen oder ihm eine andere Zahlungserleichterung gewährt hat. Für den praktisch sehr relevanten Fall der Ratenzahlungsvereinbarung dreht der Gesetzgeber mit dieser Neuregelung die bisherige Vermutungswirkung also zu Lasten des Insolvenzverwalters um. Der Gläubiger muss nun also nicht mehr beweisen, dass er nichts von Zahlungsschwierigkeiten wusste, sondern der Insolvenzverwalter muss dem Gläubiger die Kenntnis der eingetretenen Zahlungsunfähigkeit nun ausdrücklich nachweisen. Das dürfte in der Praxis auf Basis der Dokumente, die im Geschäftsverkehr regelmäßig ausgetauscht werden, kaum möglich sein. Denkbar bleibt dies aber in Fällen, in denen Gläubiger aktuelle Liquiditätsübersichten des Schuldners erhalten, aus denen die Zahlungsunfähigkeit hervorgeht, was z.B. bei Banken oder Beratern der Fall sein könnte.
Darüber hinaus wird durch den neu eingefügten § 133 Abs. 2 InsO auch der Zeitraum für die Anfechtbarkeit von einem Großteil der Handlungen des Schuldners von 10 auf 4 Jahre verkürzt. Dies gilt aber nur für Handlungen, mit denen (berechtigte) Ansprüche des Gläubigers erfüllt worden sind, also zum Beispiel Zahlungen auf tatsächlich erbrachte Lieferungen und Leistungen. Für unberechtigte Mittelabflüsse aus dem Unternehmen, z.B. Zahlungen ohne Rechtsgrund, bleibt es bei dem Zeitraum von 10 Jahren.
Gemäß § 142 a.F. waren sogenannte „Bargeschäfte“, also Leistungen des Schuldners, für die unmittelbar eine Gegenleistung in sein Vermögen gelangt ist, von einigen Insolvenzanfechtungstatbeständen ausgenommen. Die Rechtsprechung befand, dass Zahlungen innerhalb eines Zeitraums von etwa 2 Wochen noch darunter fallen sollten. Für Zahlungen auf Arbeitslohn wurde sogar ein Zeittraum von 4 Wochen nach Leistungserbringung als zulässig erachtet. Zahlte der Schuldner aber später, unterlagen auch solche Zahlungen der Anfechtung. Nach der Neufassung muss der Gläubiger nunmehr zusätzlich noch erkannt haben, dass der Schuldner bei der Zahlung „unlauter“ handelte. Was unter dem Begriff „unlauter“ zu verstehen ist, dürfte in Zukunft noch zu erheblichen Diskussionen führen. Der Gesetzesbegründung zufolge soll eine Handlung z.B. dann unlauter sein, „wenn es dem Schuldner in erster Linie darauf ankommt, durch die Befriedigung des Leistungsempfängers andere Gläubiger zu schädigen“ oder wenn er „bei Kenntnis der eigenen Zahlungsunfähigkeit… Vermögen für Leistungen verschleudert, die den Gläubigern unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt nutzen können…“. Jedenfalls ist damit eine zusätzliche Hürde für die Anfechtung von Bargeschäften eingeführt worden.
Können sich Unternehmen aus Ihrer Sicht schützen, und wenn ja, wie?
Durch die Reform hat der Druck für Unternehmen, sich vor der Insolvenzanfechtung zu schützen, nicht wesentlich abgenommen. Es ist davon auszugehen, dass die Rechtsprechung auch weiterhin an ihrer restriktiven Auslegung der Vorsatzanfechtung festhalten wird. Zwar hat sich der Anfechtungszeitraum von 10 Jahren auf 4 Jahre verkürzt. Erfahrungsgemäß finden die anfechtungsrelevanten Zahlungsvorgänge jedoch ohnehin innerhalb der verkürzten Frist statt. Es empfiehlt sich daher nach wie vor, bei Zahlungsstockungen mit dem betroffenen Schuldner Kontakt aufzunehmen und frühzeitig über Lösungsmöglichkeiten zu sprechen. Lieferanten sollten durchaus in Erwägung ziehen, bei Zahlungsstockungen strengere Maßstäbe anzulegen und z.B. auch Sanierungsgutachten vom Schuldner anzufordern. In der Korrespondenz mit dem Schuldner sollte weiterhin Wert darauf gelegt werden, keine Sachverhalte zu vermuten, die eine Zahlungsunfähigkeit begründen könnten. Präventiv sollten im Insolvenzrecht erfahrene Wirtschaftsanwälte den Lieferanten in derartigen Prozessen zur Seite stehen.
Würden Sie zu einer Absicherung in Form einer Versicherungslösung eines Kreditversicherers raten?
Auch nach der Reform ist einem Unternehmen grundsätzlich anzuraten, sich bei Bedarf gegen Risiken aus einer möglichen Insolvenzanfechtung durch eine entsprechende Versicherung abzusichern. Das gilt insbesondere, wenn die Bonität von Schuldnern nicht ohne weiteres laufend überwacht werden kann oder wenn Geschäfte mit Unternehmen in der Krise getätigt werden. Es kommt dabei sehr auf die Wahl des richtigen Versicherers an. Empfehlenswert ist eine Anfechtungsversicherung insbesondere für Lieferanten, die in laufender Geschäftsbeziehung zu ihren Schuldnern stehen und daher über das Zahlungsverhalten regelmäßig informiert sind.